Wahrlich ein heißes Eisen. Dazu gehen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf. Fangen wir von vorne an.
Das erste Mal, dass ich von Beschneidung erfuhr, war aus einem Buch. Es ging um beschnittene Jungen, Juden in diesem Fall. Ich war weit unter zwanzig und stellte sie, weil ich ein Kind war, nicht in Frage, das wahr halt "so".
Das nächste Mal, dass mir Beschneidung in die Quere kam, war viele Jahre später. Ich war mindestes in der Pubertät und Gleichberechtigung war für mich ein wichtiges Thema. Es ging um weibliche Beschneidung. Nun, die männliche kannte ich, warum sollte es also für die weibliche groß anders sein?
Dann folgte viele Jahre lang nichts mehr dazu. Viel später, und jetzt schon wieder mindestens zehn Jahre her, ich war also mindstens Mitte zwanzig, sah ich eine Reportage zum Thema weibliche Beschneidung. Die Schreie der Mädchen gellen mir heute noch in den Ohren. Ich informierte mich daher über die Formen der weiblichen Beschneidung. Wer mehr wissen will, Wikipedia ist da sehr ausführlich: http://de.wikipedia.org/wiki/Beschneidung_weiblicher_Genitalien.
Besonders die pharaonische Beschneidung (Entfernung der Klitoris und der Schamlippen) dreht mir dabei den Magen um, beraubt sie das Mädchen nicht nur kleiner Körperteile, sondern auch ihrer Sexualität!
Was ich bemerkenswert finde, ist folgender Text:
Befürworter der Praxis weisen darauf hin, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien in der Regel von Frauen praktiziert und gefordert werde, während die Männer in den praktizierenden Kulturen oftmals gar keine klare Präferenz für beschnittene Frauen äußerten.[112] Dieses Phänomen wird aus psychoanalytischer Sicht auf die psychische Traumatisierung infolge des Eingriffs zurückgeführt, die einen lebenslangen Versuch zur Folge hat, den im Körpergedächtnis gespeicherten Schmerz zu vermeiden. Hieraus resultieren Entwicklungshemmungen u. a. bezüglich der Fähigkeit, Empathie zu entwickeln. Ein Empathieverlust aufgrund von psychischer Traumatisierung tritt gewöhnlich dann auf, wenn die eigene Leiderfahrung einer anderen Person zugefügt wird.[113] Auch sprechen sich beispielsweise in Somalia mehrheitlich Männer und Stammesälteste für eine Heirat mit einer beschnittenen Frau aus. Sie argumentieren, dass beschnittene Frauen weniger eigenwillig und leichter zu lenken seien, was Janna Graf auf die psychische Traumatisierung der Frauen zurückführt.[4] (A.a.O. Letzter Absatz des Abschnitts "Unterdrückung weiblicher Sexualität", Version vom 21.11.2012, Hervorhebung von mir)
Ich denke, kaum ein Europäer wird widersprechen und der gleichen Ansicht sein, dass weibliche Beschneidung schlicht eine Verstümmelung ist und daher aufs schärfste zu verurteilen ist.
Weitere wesentliche Fakten sind mir nicht bekannt. Siehe dazu auch hier die Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Zirkumzision
Contra:
Pro:
Zum Vergleich die Gründe bei der weiblichen Beschneidung:
Pro: Kulturelle oder religiöse Identität. Diverse nicht haltbare angebliche medizinische oder abergläubische Gründe.
Contra: Nicht reversibel, Traumatisierung (sehr!!! große Schmerzen), Todesfälle, Verlust der Sexualität, Dauer des Verheilens bis zu 40 Tage und länger...
Grundsätzlich habe ich nichts gegen die männliche Beschneidung, solange der Junge alt genug ist, damit selbst entscheiden kann und das ganze ohne Schmerzen durchgeführt wird. Unter den gleichen Gründen hätte ich auch nichts gegen die weibliche, wenn nicht die Sexualität beschädigt würde (!).
Was ich nun aber so erschreckend finde, ist die Vehemenz, mit der das einzige nicht-sachliche Argument ins Feld geführt wird. Die männliche Beschneidung ist wichtig für die religiöse und kulturelle Identität, sogar Antisemitismus wird unterstellt (was machen dann Juden (ja, die gibt es auch!!!), die die Beschneidung bei Angehörigen des Islams verurteilen: Sind das auch Antisemiten???). Darf ich hier an die Argumente zur weiblichen Beschneidung erinnern? Die weibliche wird mit Bausch und Bogen abgelehnt, die männliche mit den gleichen Gründen gefordert.
Daher plädiere ich für ein Gesetz, dass männliche ebenso wie weibliche Beschneidung verbietet. Im Bezug zur männlichen sollte eine Übergangszeit von ca. 36 Jahren geschaffen werden, mit der das Alter der Beschneidung schrittweise auf 18 Jahre angehoben wird (wobei das Alter von ca. 4-10 Jahre aus psychischen Gründen übersprungen werden sollte, Gefahr der Traumatisierung – Bezugspersonen fügen große Schmerzen zu – zu groß ist). Damit wäre dann eine Gleichstellung zur weiblichen Beschneidung erreicht und es sollte lang genug für eine Religionsgemeinschaft sein, sich daran zu gewöhnen und Alternativen zu entwickeln. Z.B. ist bei Konversionen eine Beschneidung nicht nötig, teilweise wird ein kleiner Schnitt beigrebracht, für einen Tropfen Blut für die symbolische Wirkung. Es geht also...
Ich denke, die psychische Traumatisierung tritt auch bei Jungen auf, auch wenn es sich nur um "relativ" geringe Schmerzen handelt. Immerhin erleben sie hier einen massiven Kontrollverlust mit Schmerzen, der schöngeredet wird, aber nicht so empfunden wird. Da in der aktuellen Debatte bei der männlichen Beschneidung sich vornehmlich Männer der betroffenen Religionen am lautesten befürwortend zu Wort meldeten, so will ich ihnen auch mal eine Befangenheit in Form des oben beschriebenen Empathieverlustes wegen der eigenen Traumatisierung unterstellen... (siehe Zitat.)